Von der Mitarbeiterin zur Führungskraft

„Führung ist Dienstleistung, kein Privileg“

Anselm Grün

Ist es besser, geliebt oder gefürchtet zu werden? Niccolò Machiavelli hat sich mit dieser Frage schon vor 500 Jahren beschäftigt. Er meinte: „Man sollte beides anstreben, aber da sich diese Kombination von ein- und derselben Person nur schwer erreichen lässt, ist es deutlich sicherer, gefürchtet zu werden.“

Die moderne Verhaltensforschung gibt Machiavelli zum Teil recht.

Wenn wir über andere urteilen, vor allem über Führungspersonen, schauen wir zuerst auf zwei Dinge: Wie liebenswert ist die Person (Wärme, Verbundenheit, Vertrauenswürdigkeit) und wie furchteinflößend ist sie (Stärke, Macht, Kompetenz)? Über die richtige Benennung der Komponenten streiten sich die Experten. Dass es sich dabei um die beiden wichtigsten Dimensionen bei der Beurteilung von Menschen handelt, steht jedoch außer Frage.

Warmherzigkeit und Stärke

Warum sind diese Merkmale so wichtig? Weil sie die Antwort auf zwei entscheidende Fragen liefern: Welche Absichten hat dieser Mensch mir gegenüber? Und: Ist er oder sie in der Lage, diese Absichten umzusetzen? Diese Einschätzungen unterliegen unseren emotionalen und Verhaltensreaktionen auf andere Menschen, Gruppen und selbst auf Marken und Unternehmen.

Amy Cuddy hat zusammen mit Susan Fiske von der Princeton University und Peter Glick von der Lawrence University gezeigt, dass Menschen, die als kompetent, aber kalt eingeschätzt werden, Neid auslösen. Eine Emotion, die sowohl Respekt als auch Abneigung beinhaltet. Wenn wir jemanden respektieren, möchten wir mit dieser Person zusammenarbeiten oder uns ihr anschließen, wenn wir hingegen eine Abneigung gegen jemanden empfinden, möchten wir dieser Person eher ablehnen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich beobachten wir auch viele andere Charakterzüge, aber sie sind nicht annähernd so einflussreich wie die beiden Eigenschaften Warmherzigkeit und Stärke. Erkenntnisse aus der Psychologie belegen sogar, dass diese beiden Dimensionen zu mehr als 90 Prozent für den positiven oder negativen Eindruck verantwortlich sind, den wir von Menschen in unserem Umfeld gewinnen.

Also noch einmal: Ist es besser, liebenswert oder stark zu sein? Die meisten Führungskräfte neigen heute dazu, im beruflichen Kontext vor allem ihre Stärke, Kompetenz und Qualifikation zu betonen, aber das ist genau der falsche Ansatz. Führungskräfte, die Stärke ausstrahlen, bevor sie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben, laufen Gefahr, Angst und eine Reihe von damit verbundenen dysfunktionalen Verhaltensweisen auszulösen. Angst kann das kognitive Potenzial, die Kreativität und die Problemlösungsfähigkeiten eines Menschen einschränken und dazu führen, dass Mitarbeiter nicht mehr weiterkommen oder sich gar völlig ausklinken. Angst ist eine „heiße“ Emotion mit lang anhaltenden Folgen. Sie brennt sich viel stärker ins Gedächtnis ein als kühlere Emotionen.

Lassen wir den Pater Anselm Grün nochmal zu Wort kommen. Er sagt dazu:

Führen kann nur, wer sich auch selbst führen kann.“

Das Wichtigste ist die Selbsterkenntnis. Wer sich selbst nicht kennt, der projiziert all die verdrängten Seiten auf seine Mitarbeiter. Er möchte vielleicht eine Atmosphäre des Vertrauens, aber von ihm geht Misstrauen aus, weil er sich selbst nicht traut und Angst hat vor dem, was er in sich noch nie angeschaut hat.

Ein Führender braucht die Eigenschaft, entscheidungsfreudig und konfliktfähig zu sein. Aber grundsätzlich kann man Führung lernen. Die Führungsaufgabe selbst ist ein Lernprozess. Und wer bereit ist, beim Führen zu lernen, der wird auf Dauer gut führen.

Quelle: Von Amy J.C. Cuddy, Matthew Kohut und John Neffinger